Die Basisgruppe Stadtsanierung Linden (Hannover) über Entstehungsgeschichte, Selbstorganisation & Studium aus: INFO 5 hannoversches centralorgan der sozialistischen basis- & projektgruppen WS 69/70 |
Der Zweck dieses Artikels, der Auseinandersetzung mit dem Psychologischen Seminar, der Mitarbeit zweier BSL - Mitglieder im Seminarrat des Psyoh. Seminars ist es gerade, die Voraussetzungen für Projekt- und Basisarbeit zu schaffen. Es geht darum, die Hochschule als wissenschaftliche Arbeitsstätte für die Arbeiterklasse auszunutzen, jeweils einen Teil der Studenten für diese Arbeit zu gewinnen und sich die Möglichkeit dieser Arbeit auszubauen. EHTSTEHUHG DER BSL DURCH KRITIK AN BISHERIGER HOCHSCHULPOLITIK. Die BSL entstand im April dieses Jahres. Äußerer Anlaß dazu waren die Diskussionen zur Vorbereitung des 1. Mai. Es wurde überlegt (unter den Gesichtspunkt anhand der Vorbereitung des 1. Mai die hann. APO zu reorganisieren), was die politisch relevanten Gruppen zum l. Mai beitragen können. Für Studenten mußten diese Diskussionen bedeuten, daß die bisherige Praxis an der Hochschule untersucht wird und eine neue Zielsetzung vorgenommen wird. Die Kritik an der bisherigen Hochschulpolitischen Praxis kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: 1. Die Kritik an den inhaltlichen und organisatorischen Formen des Lernens beginnend mit "Kritischer Universität", über Prüfungsproblematik, Faohschaftsbürokratismus, Studienreform, Hochschulreform konnten zwar eine große Anzahl von Studenten mobilisieren. Diese Mobilisierung konnte aber bei den bestehenden Problematiken nicht in stabile Organisationsformen überführt werden. Ältere Studenten fielen wieder aus der Bewegung heraus, weil sie gezwungen waren, "positive" Studienarbeiten zu machen. Für Architekten, die das Hochschulstudium abgeschlossen hatten, konnte die Hochschule nicht das entsprechende Betätigungsfeld sein. 2. Die Kritik an den Formen des Lerneas war für das liberale System innnerhalb der Architekturabteilung leieht zu integrieren. Man kann sagen, daß dort aufgrund unserer Kampagnen jetzt die Architekten ausgebildet werden, die für das Gesellschaftssystem der BRD verwendbar sind: elevere, agile Technokraten, im Gegensatz zu den verträumten Künstlernaturen der früheren Ausbildung. 3. Die Kritik an den Formen des Lernens (damit auch die Kritik an der herrschenden Berufspraxis) konnte den Studenten keine gesellschaftliche Dimension ihrer Stellung vermitteln. Die Universität wurde kaum als bürgerlicher Herrschaftsapparat erkannt. In der Kritik der Berufspraxis wurde zwar die Herrschaftsfunktion der Architektur erkannt. Diese Herrschaft wurde aber mehr in der fertigen Arohitektur gesehen, als schon in der Art der Planung. Mit Hilfe kritischer Theorie, meinte man, könne die Arohitektur ihrer Herrschaft funktien entledigt werden, könne man herrschaftsfreie Arohitektur machen. Diese Diskussion war von den Architekturstudenten, die innerhalb der Bewegung arbeiteten schon vor dem 1.Mai geführt worden; durch die beginnende Technokratisierung der Ausbildung war bereits der Planungsvorgang der Kritik unterzogen worden. Technokratische Planungsseminare, die Modelle wirtschaftlicher Optimierung des Planungsvorgangs finden sollten, wurden kritisiert. Auf die Kritik der politisierten Studenten an der bisherigen Hochschulpraxis und an der gesamten Planung (Planerausbildung + Umweltplanung + Planungsergebnis) folgte konsequent, daß die Studenten in reale Planungen, die in der "Öffentlichkeit" als Konfliktsituation vermittelt werden können, eingreifen müssen. Aus diesen Überlegungen wurde beabsichtigt, die Sanierung in Linden als Anlaß zur Ausarbeitung dieser Konfliktsituation zu nehmen. ERFORDERNISSE UND ORSANISATION DER ARBEIT. Etwas überstürzt wegen der 1. Mai Kampagne, trotz der Bedenken, daß wohl nur sehr wenige Studenten diese Arbeit leisten können, solange sie zur reinen Freizeitarbeit und nicht mit irgendwelchen Studienarbeiten gekoppelt wird, wurde dann die BSL gegründet. Aus Gesprächen mit dem Berliner Büro für soziale Arbeit und Stadtsanierung, das in Kreuzberg schon ein halbes Jahr vorher mit gleicher Arbeit begonnen hatte, kamen wir zu dem Ergebnis, daß theoretische Aufarbeitung notwendig ist, um in diesen Konflikt eingreifen zu können. Dieses war in Berlin nicht geschehen und machte sich damals in Konzeptionslosigkeit und Stagnation bemerkbar. Besonders mußten wir einiges über die Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohngebiet, ihr Wissen von der Sanierung, ihre Bedürfnisse und ihre Wohn- und lebenssituation erfahren. Dieses Wissen sollte uns helfen, die Distanz zu überbrücken, die zwischen bürgerlicher Schicht, aus der wir kamen, und Arbeiterklasse besteht, und eine Strategie zu entwickeln. Aus den Erfordernissen, theoretische Vorarbeeiten leisten zu müssen und diese nach Möglichkeit auch in der Freizeit durchführen zu müssen, wurde mit dem Psychologischen Seminar vereinbart, in einer Lehrveranstaltung diese Fragen aufzuarbeiten. Ebenfalls sollten zu diesem Zwecke Lehrveranstaltungen in der Aroh. Abteilung umfunktioniert werden. Das Organisationsmodell der BSL sah eine entsprechend der Komplexität der Arbeit aus Leuten mit verschiedenen Vorkenntnissen zusammengesetzte Basisgruppe vor (Arch., Psych., Oek., Bau-Ing., Maler, Bildhauer, Filmer). Mitglieder der BSL arbeiten zusätzlich in verschiedenen Lehrveranstaltungen, die sie für die BSL zu funktionalisieren versuchen. Hierbei sollte auch erreicht werden,daß andere Studenten über Studienarbeiten an der praktisch - politischen Arbeit interessiert und in sie integriert werden. Ein Erfolg dieser Taktik kann nicht beurteilt werden, da die Studienarbeiten weitgehend den Bezug zur politischen Praxis verloren. Die Hoffnung, Lehrveranstaltungen funktionalisieren zu können, zerschlug sich weitgehend. Die Mitglieder der BSL arbeiteten in zu vielen Veranstaltungen und traten dort zu schwach auf (z.B. Planungsseminar Schweger, Stadtbildseminar Hoeltje, Wohnungs-, Städtebau). Die ursprüngliche Vielfalt der BSL homogenisierte sich unter der Majorität der Architekten und nur geringer Identifizierung der anderen mit dieser Arbeit. DIE THEORETISCHE ABBEIT IM PSYCHOLOGISCHEN SEMIIAR Im Seminarrat war vereinbart worden, das Seminar "Entwicklungsbedingungen verschiedener sozialer Milieus" den Bedürfnissen der BSL zur Verfügung zu stellen. Dies geschah jedoch nicht konsequent. Die ursprüngliche Vorstellung, einen Milieubegriff zu erarbeiten, wirkte sich immer wieder aus; einige kaum zusammenhängende Arbeitsgruppen wurden eingerichtet. Die BSL versuchte, ihre Arbeit in den Gruppen "Familie" und "Freizeit" durchzuführen. Die Psychologiestudenten waren an unseren Fragen allerdings uninteressiert und zogen sich in andere Arbeitsgruppen zurück; einige waren gerade noch für die Interviews zu interessieren. An der theoretischen Arbeit , wo wir auf die Psychologen angewiesen waren, well unsere Kenntnisse nicht zur Bearbeitung unserer Fragen reichten, nahmen nur noch die Genossen Krovoza und Leithäuser teil, die aber noch sehr stark an dem Ziel, einen Milieubegriff zu erarbeiten, verhaftet waren und akademische Seminarbeit betrieben. Außerdem konnte sich mit diesen Genossen keine egalitäre Arbeit entwickeln. Die Konzeptionslosigkeit und das Nichtdurchdringen unserer Vorstellungen frustrierte derart, daß sich einige Mitglieder der BSL zurückzogen. Die übrigen nahmen wohl nur weiter teil, weil zugleich das Fach Bauaufnahme miterledigt werden sollte und sie dieses zum Vordiplom brauchten. Die Frustration wurde erst gemindert, als beide Gruppen zusammengelegt wurden und das Ziel entstand, eine Untersuchung in Form von teilnehmender Beobachtung und nicht standardisierter Interview zu machen. Dabei entwickelte sich neben dem Seminar eine von den Semlnarleitern weitgehend unabhängige Arbeit. In kleinen Gruppen, die bei der Auswertung während der Semesterferien fortgeführt wurde. Unsere Erfahrungen waren, daß 1. bei den Mitarbeitern des Psyoh. Seminars in ihren Zielen und Konzepten nicht klar ausgemachte akademische Fragestellungen vorlagen, 2. die Fragestellungen und Inhalte der einzelnen Seminare und Arbeitsgruppen keine sinnvolle Verbindung zueinander aufweisen, 3. diese "Programme" nicht auf Ihre Durohfürbarkeit geprüft sind (personeller Einsatz, Zeltaufwand). So stehen viele Programme nebeneinander, die alle einen großen Aufwand fordern, der aber nicht geleistet werden kann. Somit kann die Arbeit auch nicht vorangehen und Erfolg haben. Die Untersuchung war bei ihrer Fertigstellung für die politische Praxis weitgehend überholt. Einzelne Ergebnisse waren bereits vorher unsystematisch in die Praxis eingeflossen. Diese theoretische Arbeit hatte sich gemessen an den Anstrengungen, die sie verlangte, als hemmend erwiesen. Theoretische Arbeit, auf der politische Praxis aufgebaut werden soll, muß bedeutend flexibler und konzentrierter organisiert werden. Kurse von ein oder zwei Wochen Länge mit täglicher Sitzung, auf denen Grundlagen vermittelt werden. Diese Kurse müssen vorbereitet, zeitlich miteinander koordiniert und frühzeitig bekannt gemacht werden. Grundlegende Literatur muß angegeben und vor Beginn gelesen werden. Auf den Grundlagen aufbauende Arbeit wird an relevanten und vorhandenen politischen Projekten orientiert, in kleinen ebenfalls konzentriert und intensiv arbeitenden Gruppen durchgeführt. Wir schlagen aus unseren Erfahrungen für das Psychologische Seminar vor: 1. Das Seminar wird in ein Schulungslnstitut für marxistische Theorie umgewandelt, allerdings mit dynamischer Programmorganisation (s.o.). Die inhaltliche Bestimmung des Programms ist Aufgabe der Basis- und Projektgruppen. oder / und 2. Die Mitglieder des Seminars arbeiten in ebenso intensiver Form zusammen mit Mitgliedern der Basis- und Projektgruppen deren theoretische Fragestellungen auf. Hauptgewicht ist darauf zu legen, wie mit wissenschaftlichen Methoden eine sozialistische politische Praxis begründet werden kann. 3. Für Studienanfänger wird in Zusammenarbeit mit den Basis- und Projektgruppen ein Kursus durchgeführt, der ein Bewußtsein für gesellschaftliche Antagonismen aktualisieren soll und die Studenten mit der Arbeit der Basis- und Projektgrupen bekanntmacht. "Erst wenn die große Arbeitermasse selbst die scharfe zuverlässige Waffe des wissenschaftlichen Sozialismus in die Hand genommen hat, dann werden alle kleinbürgerlichen Anwandlungen, alle opportunistischen Strömungen im Sande verlaufen." Rosa Luxemburg (Vorwort zu Sozialreform oder Revolution ?) |