"Die Not hat ein Ende! Die Zeit der
Dorfmusik ist vorbei!"

Alles begann Ende 1959 mit dem Kaiserkeller. An der Ecke Große Freiheit/Schmuckstraße in St. Pauli eröffnete der Gastronom Bruno Koschmider Hamburgs ersten Rock 'n' Roll-Club. Tür an Tür mit Striptease-Läden und Neppkneipen standen hier plötzlich schwitzende junge Engländer mit Lederjacken und gefährlichen Haartollen auf der Bühne, ließen die Gitarren donnern und brüllten dazu heisere Liebeserklärungen an Lucille , Carol , Peggy Sue und Miss Molly durch ihre 30-Watt-Verstärker.

Für die Jugendlichen damals, die "Halbstarken", war dieser Club eine Offenbarung. Denn seit Bill Haley 1956 bei seiner ersten Deutschland-Tournee in Stuttgart, Essen, Berlin und Hamburg wilde Saal- und Straßenschlachten zwischen seinen Fans und einer knüppelschwingenden, tränengaswerfenden Polizei ausgelöst hatte, lief nichts mehr bei uns in Sachen Rock. Eine riesige Pressekampagne hatte an schließend dafür gesorgt, daß diese Musik, die für Erwachsene wie Obrigkeit ohnehin der Beginn des abendländischen Untergangs war, fast völlig unter drückt wurde. Die Moral von der Geschicht: "Schlußmachen mit diesem unsinnigen und geistlosen Urwaldgetöse, das die Bezeichnung Konzert nicht verdient!" forderte nach den Haley-Krawallen Bild Leser Jakob Theobald aus Rodenkirchen. Und so geschah es auch.

Was blieb, waren dünnblütige, angepaßte Schlagerbubis wie Peter Kraus, Tommy Kent und Ted He rold (der immerhin noch der "härteste" von ihnen war), die amerikanische Rock-Originale so lange verwässerten und eindeutschten, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Oder die sich ihre Songs gleich von der damals marktbeherrschenden deutschen Schmand- und Schlagermafia schreiben ließen. Das war dann auch kein Rock mehr, sondern, wie es so schön hieß, "Teenagermusik".

Auf der anderen Seite, neben der Teenagermusik und den fast alles beherrschenden Schlagern (Leute wie Ivo Robic, Fred Bertelmann, René Carol und Heidi Brühl machten mit ihren Singles Millionenauflagen), gab es eigentlich nur noch Jazz, Oldtime und Dixieland. Chris Barber, Papa Bue und Max Collie waren die Könige, Ice Cream, Tiger Rag und Down By The Riverside ihre Hymnen, die überall, bei unzähligen Konzerten und an jeder Ecke aus Jazzclubs, -kellern und -kneipen erklangen. Die Exi-Szene hatte ihre goldene Zeit.

Rockmusik dagegen verschwand fast völlig von der Bildfläche. Nur wenige Platten von Elvis, Bill Haley und Cliff Richard waren offiziell erhältlich. Wer auf Eddie Cochran oder Chuck Berry scharf war, mußte sich seine Singles zeitraubend und umständlich importieren lassen. Es gab nur einen Lichtblick: den englischen Soldatensender BFBS und Chris Howland mit seinem "Saturday Club" im WDR.....In diese Situation hinein öffnete der Kaiserkeller und brachte als erster Club in Deutschland Rockmusik regelmäßig live auf die Bühne. Als erste Gruppe war Tony Sheridan mit seiner Band gebucht, später kamen Gruppen wie Rory Storm & the Hurricanes, Howie Casey und Derrie Wilkie & the Seniors..... So ging es bis Anfang 1962. Tony Sheridan wurde zur Hamburger Lokalgröße, hatte mit Skinny Minny seinen ersten Hit und nahm im Juli '61 mit den Beatles, die gleichzeitig mit Tony im Top Ten gebucht waren und ihn zeitweilig auch auf der Bühne begleiteten, für Polydor acht Songs auf, darunter My Bonnie und Ain't She Sweet. Neue Gruppen kamen für mehrwöchige Gastspiele an die Elbe, darunter Gerry & the Pacemakers und andere Liverpooler Bands, die es zu Hause am Mersey ungleich schwerer hatten, regelmäßig aufzutreten.

Trotzdem blieb die Entwicklung irgendwie stehen. Zwar brachten die Clubs jetzt Rockmusik live. Richtige Stars aber, die man von Platten und Rundfunk her kannte, traten nicht auf. Es gab nur mehr oder minder unbekannte Bands, die vorwiegend Hits anderer Leute nachspielten, selbst die Beatles machten da noch keine Ausnahme. Von Größen wie Elvis, Gene Vincent oder Jerry Lee Lewis konnte man nach wie vor nur träumen. Zudem fehlten den Clubs wichtige Voraussetzungen, um Rockmusik für ein größeres Publikum anbieten zu können:

Mit Ausnahme des Top Ten waren alle Läden recht klein. Und in allen Clubs spielte nach dem Prinzip der Tanzcafés wochenlang meist nur eine einzige Band. Es war Zeit für den Star-Club.













Eines Morgens war St. Pauli mit grell orangefarbe nen Plakaten vollgeklebt. "Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!" verkündeten die großen Lettern. Denn: "Am Freitag, dem 13. April, eröffnet der Star-Club die Rock 'n' Twist-Parade 1962 "...... Rockmusik war 1962 noch Untergrund, Subkultur, der Sound einer kleinen radikalen Minderheit. Dazu noch auf St. Pauli, wo mit der Faust diskutiert und mit dem Messer kassiert wurde , mitten im Kiez Milieu - das schreckte zunächst die breiten Kreise der Jugend und viel mehr noch ihre Eltern ab. Doch Verbote bewirken meist das Gegenteil, und mit der Zeit kamen sie doch alle.

Einer von ihnen war Frank Dostal, der noch nicht im Traum daran dachte, daß er später einmal als Rattles-Sänger auf der Star-Club-Bühne stehen sollte:

"Ich war ein halbes Jahr nach der Eröffnung zum erstenmal da, vorher war ich nur ein paarmal im Top Ten. In den Star-Club ging man nicht als Bürgersöhnchen, weil es hieß, da seien nur die Rocker. Ich war vorher schon mal in so einem kleinen Lokal in der Freiheit gewesen, und da hab ich sofort eine rie sige, blutige Schlägerei gesehen. Und als ich dann hörte, daß im Star-Club nur Rocker seien, die ja damals durchweg sehr gewalttätig waren, bin ich eben dort nicht hingegangen. Das hat sich aber geändert, als ich hörte, daß die Beatles dort wieder spielten, da hab ich mich dann mal getraut. Und ich war gleich unheimlich begeistert. Was einem bis dahin an Unterhaltung geboten wurde, war doch enweder Fernsehen Peter Frankenfeld oder so was, oder Jazz,so Dixieland oder Modern Jazz. Und daß da irgendwie so Typen auf der Bühne waren, mit denen man sich wesentlich eher identifizieren konnte und die die Musik live machten, die man nur von Platten her kannte, das hat den wesentlichen Kick ausgemacht. Ich bin dann auch vom erstenmal an mindestens zweimal die Woche im Star-Club gewesen. Das war in den Augen meiner Mutter und sonstiger Verwandter ganz schön gefährlich, so oft nach St. Pauli zu gehen. Aber in Wirklichkeit war das ganz cool, weil die Typen auf St. Pauli und die Portiers immergleich gesehen haben: Der will zum Star-Club, und da haben sie uns nie dumm angemacht. Lederjacken und so was wurden im Star-Club eigentlich nicht getragen. Die Leute hatten alle Anzüge an, Krawatten und Nyltesthemden. Wer damals dazu noch Cowboystiefel besaß, war ganz besonders progressiv. Sie machten sich sorgfältig zurecht, wenn sie hingingen, das war richtig Ausgehen. In erster Linie ging man ja auch hin, um Musik zu hören und zu tanzen, nicht um rumzuhängen, dazu war der Star-Club zu faszinierend . Jeden Tag war es gerammelt voll. Der Star-Club war für die Jugend so was wie die Dame ohne Unterleib, die totale Sensation, deshalb kamen auch immer so viele."

Dafür gab es auch noch einen anderen Grund. Frank Dostal:

"Der Star-Club war schon am Anfang so eine Art Gegenkultur, auch wenn es den Leuten damals nicht so bewußt war. Die gesellschaftlichen Verhaltensnormen, die außerhalb des Star-Clubs galten, hatten hier keine Funktion."....

Probleme gab es nur allabendlich für diejenigen im Star-Club, die noch keine achtzehn waren. Offiziell durfte man erst ab sechzehn herein, aber mit einer wilden Brisk-Tolle über dem Konfirmationsanzug oder Stöckelschuhen, Lippenstift und hochtoupierter Bienenkorbfrisur schafften es einige doch. Um 21 Uhr 50 aber, wenn die Star-Band ihren ersten Auftritt beendet hatte, schlug per Ansage aus dem Hauslautsprecher die Stunde der Wahrheit , die stets etliche Gäste dazu brachte, schlagartig ein paar Jahre älter auszusehen: "Meine Damen und Herren. in wenigen Minuten ist es 22 Uhr. Alle Jugendlichen unter achtzehn Jahren müssen jetzt den Star-Club verlassen. Die Kellner sind angewiesen, eine Ausweiskontrolle durchzuführen. Personen, die sich nicht ausweisen können, müssen ebenfalls das Haus verlassen. Den Anweisungen der Kellner ist unbedingt Folge zu leisten. In zehn Minuten geht es dann weiter im Star-Club mit..."....

Bald kamen fast eine Million Besucher im Jahr. War ein Jugendlicher in Hamburg, führte ihn sein erster Weg in den Star-Club. Manche reisten sogar aus England, Frankreich und Skandinavien an, nur um ein paar Nächte im berühmten Club an der Großen Freiheit zu verbringen. Verzweifelte Eltern schrieben Briefe und riefen im Star-Club-Büro an, ob ihr ausgerissener Sohn oder ihre verschwundene Tochter nicht gesehen wurde. Je länger die Haare der männlichen Gäste wurden, desto mehr drängten sich vor der Bühne mit der Manhattan-Skyline. Viele von ihnen kamen jahrelang, verbrachten hier ihre Jugend und erlagen Nacht für Nacht der Faszination des dämmrigen Saals und der unaufhörlich rockenden Bands. Hier gab es alles, wonach man hungerte. Man war unter sich und hatte den Sound, der nur einem selbst gehörte. Der Star-Club war ein kleines Stück Freiheit in einer feindlichen Welt, die von Autoritäten, Verboten und Zwängen beherrscht war und alles, was Spaß machte, bekämpfte und zu unterdrücken versuchte. Wie den Rock und den Beat, Sex, die langen Haare und sogar das Jungsein überhaupt.

Im Star-Club aber fand das wahre Leben statt.

Fotos und Text aus: Beckmann, Dieter, Martens, Klaus, Star-Club, Reinbek, o.J.