aus: "junge welt" vom 27. & 30. September sowie vom 2. Oktober 1996

Die Rolle der DFFB-Studenten bei der Revolte von 1967/68

Tilman Baumgärtel

Die Rolle der DFFB-Studenten bei der Revolte von 1967/68

Ein Rückblick anläßlich des 30 Jahrestages der Gründung der Deutschen Film- und Fersehakademie Berlin

Zu dem ersten DFFB-Jahrgang gehörten außer Holger Meins und Minow auch einige Studenten, die später als deutsche Autorenfilmer bekannt wurden: Wolfgang Petersen, Wolf Gremm, Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Christian Ziewer und Helke Sander. Die politisch engagierten Studenten unter ihnen befanden sich von ihrem ersten Semester an in einem Dauerkonflikt mit der Leitung der Filmakademie, der nicht nur vom Berliner Senat, sondern bis hin zum Bonner Innenministerium mit Mißfallen zu Kenntnis genommen wurde und der fast zur Schließung der DFFB geführt hätte.

Die kurzen Dokumentar- und Agitationsfilme, die das Kollektiv politisch aktiver Studenten in dieser Zeit an der DFFB drehten, sind heute fast vollkommen vergessene Zeugnisse der deutschen Studentenbewegung. Der damalige DFFB-Student Harun Farocki dachte über einem internationalen Verteilapparat für sozialistische Propaganda nach, der so effektiv organisiert sein sollte wie der weltweite Vertrieb von Coca-Cola. Und das Establishment träumte mit. In einem Interview über die technische Möglichkeit, Fernsehen per Kabel zu verbreiten (damals noch eine mediale Utopie) sagte der Westberliner Fernsehjournalist Helmut W. Sontag: "Ich habe mich schon immer gefragt, warum die APO nicht auf die Idee des Kabelfernsehens gekommt ist. Das wäre für sie doch ideal."

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Obwohl der erste DFFB-Jahrgang an der Schule, die damals noch im "Deutschland-Haus" des SFB am Theodor-Heuß-Platz untergebracht war, lediglich einen Schneidetisch und eine 16-Milimeter-Kamera vorfand, hatten im Frühjahr alle Studenten einen Kurzfilm gemacht. Einige Wochen nach der ersten Zwischenprüfung an der DFFB besuchte der Schah von Persien Deutschland und auch West-Berlin. Der Schahbesuch und die Bilder der "Jubelperser", die mit Holzlatten in Anti-Schah-Demonstranten prügelten, habe viele deutsche Bohemiens und Linksliberalen über Nacht zu Linksradikalen gemacht - auch die Studenten der DFFB, von denen viele am 2. Juni 1967 selbst auf der Strasse waren: Der DFFB-Student Thomas Giefer filmte die Auseinandersetzungen zwischen Demonstraten und Polizei, und montierte zusammen mit seinem Kommilitonen Hans Rüdiger Minow aus diesem Material den Dokumentarfilm "2. Juni 1967".

Viele der DFFB-Ehemaligen sind heute noch überzeugt, daß die Schüsse aus der Dienstpistole des Polizisten Kurras, die in dieser Nacht Benno Ohnesorg töteten, eigentlich Giefer treffen sollten. Zwar entschied das Gericht später, daß Ohnesorg zufälliges Opfer eines Unfalls geworden war, zwar will auch Thomas Giefer heute - wie er heute sagt - "nichts zur Legendenbildung beitragen", aber trotzdem: Giefer und Ohnesorg sahen sich ähnlich. Beide waren zur selben Zeit vor der Deutschen Oper, als die Berliner Polizei ihre berühmt-berüchtigte "Leberwurst-Taktik" einsetzte, und die Straßenkämpfe provozierte, bei denen Benno Ohnesorg erschossen wurde. Und Giefer war bei der Berliner Polizei bekannt und unbeliebt, weil er mit seiner 16-Millimeter-Aufziehkamera schon vorher bei Demonstrationen gefilmte hatte. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die Berliner Polizei, die Jürgen Habermas damals als "Bürgerkriegsmiliz" bezeichnete, eigentlich den unliebsamen Mann mit der Kamera beseitigen wollte und sich dabei den falschen Studenten vornahm...

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In den folgenden Monaten politisierten sich DFFB-Studenten in atemberaubenden Tempo. "In diesem Jahr ist kaum ein Film fertiggeworden", erinnerte sich Harun Farocki 30 Jahre danach. "Plötzlich hatten viele einen viel höheren politischen Anspruch an sich selbst und wußten nicht, wie sie den umsetzten sollten." Die kurzen Filme, die 1967 und 1968 an der DFFB entstanden, zeichnen die Radikalisierung nach, die sich unter den deutschen Studenten anbahnte und die 1968 zu militanten Straßenaktionen und später zum Terrorismus führen sollte.

Harun Farockis Die Worte des Vorsitzenden von 1967 war die erste DFFB-Arbeit, die - wenn auch noch sehr subtil - mit politischer Gewalt kokettiert. In dem Kurzfilm sieht man, wie aus einigen Seiten der "Mao-Bibel" ein Pfeil gefaltet wird, der auf eine Figur mit den Gesichtszügen des Schahs von Persien geworfen wird und diesen tötet. Die Worte des Vorsitzenden Mao müssen "in unseren Händen zu Waffen werden, die den Feind überraschend treffen", heißt es dazu im Off-Text. Der Film ist so ironisch und stilisiert, daß man das Ganze noch als Studentenulk hinnehmen konnte.

Doch der Film deutet mehr an, als er ausspricht: Farockis Film zeigt Worte, die zu Waffen werden. Er nimmt voraus, was in anderen DFFB-Filme und in der Studentenbewegung in den folgenden Monaten zu einem immer wichtigere Motiv werden sollte: An die Stelle von Texten, von Reden, von folgenlosen Demonstrationen und auch an die Stelle des Filmemachens sollte die direkte, militante Aktion treten. Diese Idee wird in den Filmen, die in dieser Zeit an der DFFB entstanden, immer wieder durchgespielt. Zuerst noch recht metaphorisch, doch zuletzt gar nicht mehr so metaphorisch, sondern sehr konkret und allgemein verständlich.

In Farockis nächsten Kurzfilm Ihre Zeitungen von 1967 sieht man, wie ein "kämpfendes Kollektiv" Pflastersteine in Springer-Zeitungen verpackt: Das Papier gibt dem Stein die Richtung, heißt es auf einem Zwischentitel, dann hört man das Klirren einer eingeschlagenen Fensterscheibe, und der Film ist vorbei. Das war deutlich: Raus aus dem Kino, Genossen, und dem Klassenfeind ein paar Fensterscheiben eingeschlagen...

Für alle, denen das noch nicht klar genug war, wurde Ulrich Knaudts kurz danach entstandener Film Unsere Steine noch deutlicher: Er zeigt, daß sich die Pflastersteine (unter denen damals noch der Strand lag) wirklich gegen Ihre Zeitungen richten sollten: Wieder blättert zu Beginn des Films eine junge Frau in einer Springer-Zeitung. Dann schlägt sie sorgfältig einen Pflasterstein im Zeitungspapier ein, und eine lange Einstellung zeigt das Kreuzberger Hochhaus des Springer-Verlags, unter dem schon unheimlich dräuender Qualm aufsteigt...

In Godards One plus one heißt es an einer Stelle: "Es gibt nur eine Möglichkeit, ein intellektueller Revolutionär zu sein: Indem man aufhört ein Intellektueller zu sein." Für die DFFB-Studenten könnte man sagen: "Es gibt nur eine Möglichkeit, ein revolutionärer Filmemacher zu sein: Indem man aufhört, ein Filmemacher zu sein." Aus den Filmstudenten wurden politische Aktivisten, die sich der provokatorischen Methoden der APO bedienten: Beim Westberliner Presseball im Januar 1968 schlichen sich Helke Sander, Harun Farocki und ihr Kameramann Skip Norman in Abendkleidung ein, und filmten das Fest. Dann zog Helke Sander hinter dem Tisch, an dem Axel C. Springer mit seinen Managern Boenisch und Tamm saß, ein Transparant aus der gestärkten Bluse, auf dem stand: "Axel, das ist Dein Schlußball." Der Berliner Innensenator Kurt Neubauer schubste das Filmteam daraufhin persönlich aus dem Saal, wo sie von der Polizei verhaftet wurden und die Nacht bis zum Ende des Presseballs in Untersuchungshaft verbringen durften.

Unterdessen wurde aus dem Flirt mit der revolutionären Gewalt langsam Ernst: Anfang 1968 tauchte in Berlin ein Film mit dem Titel Herstellung eines Molotow-Cocktails auf, der bei Teach-Ins und in der Kommune Eins gezeigt wurde. Der Film war anonym, doch es ist heute sicher, daß dieser Film von Holger Meins stammte. (Es war der zweite Film, den Meins an der DFFB drehte. Sein erster Studentenfilm war ein teilnahmsvoller Dokumentarfilm über einen Berliner Lumpensammler im Stil des Direct Cinema gewesen.) In Herstellung eines Molotow-Cocktails wird kommentarlos demonstriert, wie man aus Papier, Benzin und einer Flasche eine Brandbombe bastelt. Am Ende des Films wurde in einer langen Einstellung abermals das Springer-Hochhaus gezeigt. Das Papier, aus dem die Lunte gedreht wurde, stammte aus Regis Debrays Guerilla-Anleitung "Revolution in der Revolution?".

Herbert Marcuse schrieb in seinem Buch "Versuch über die Befreiung", das 1969 in Deutschland erschien und als eine Art nachträgliche Theoriebildung der Studentenbewegung gelten kann, daß "das Ästhetische zur Produktivkraft" werden und so zum "Ende der Kunst durch ihre Verwirklichung" führen solle. Zu diesem "Ende der Kunst", zu der Realisierung einer der Kunst innewohnenden Utopie, wollten auch die politisch aktiven DFFB-Studenten vordringen. Die Filme, die um 1968 an der DFFB entstanden, träumen den geheimen Traum der deutschen Studentenbewegung. Aus dem sublimierenden, kulturellen Schaffen des Intellektuellen und des Künstlers sollte endlich die direkte, emanzipatorische Aktion werden: ein Steinwurf statt eines politischen Films, ein Brandsatz statt einer Rede.

Wenn es in Farockis Die Worte des Vorsitzenden heißt: "Die Worte des Vorsitzenden müssen in unseren Händen zu Waffen werden, die den Feind überraschend treffen", dann konnte das noch als Metapher betrachtet werden. Bei Herstellung eines Molotow-Cocktails waren solche Mißverständnisse ausgeschlossen. Dieser Film war Klartext: Politisches Kino oder direkte Aktion - dieser Film stellt die beiden Alternativen, die sich an der Filmakademie anzudeuten begannen, klar heraus und forderte dadurch eine Entscheidung. Aus der sublimierenden kulturellen Aktivität sollte militanten Aktion werden. Und genauso kam es.

Am 1. Februar 1968 fand an der Technischen Universität in Berlin eine Veranstaltung statt, die der Vorbereitung eines "Springer-Tribunals" dienen sollte und die unter anderem von Horst Mahler organisiert worden war. Man beschloß ein Ultimatum, dem Springer-Verlag wurden "direkte Aktionen" angedroht. Anschließend sahen 1500 Studenten zweimal Herstellung eines Molotow-Cocktails mit der langen Einstellung vom Springer-Hochhaus am Ende.

Die Botschaft kam an: Am frühen Morgen des nächsten Tages wurden die Scheiben der Springer-Zeitung Berliner Morgenpost eingeworfen. Einige der Steine waren in Flugblätter eingewickelt, auf denen stand: "Enteignet Springer!" "Das Papier gibt dem Stein die Richtung", hieß es in Farockis Ihre Zeitungen. Am Morgen des 2. Februar 1968 begannen die Steine in die vorgegebene Richtung zu fliegen. Aus Kunst war direkte, revolutionäre Aktion geworden, und 1968 begann im Ernst.

Als wenige Wochen danach ein Mordanschlag auf Rudi Dutschke verübt wurde, kam es in der ganzen Bundesrepublik zu Strassenschlachten, wie sie Deutschland seit der Weimarer Republik nicht mehr erlebt hatte. Studenten in West-Berlin steckten Auslieferungswagen mit Springer-Blättern in Brand, auch in Köln, München, Hamburg, Frankfurt und dem Ruhrgebiet wurden Springer-Redaktionen und -Auslieferungslager blockiert oder gestürmt. Der Springer-Verlag verklagte den Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler als angeblichen Rädelsführer dieser Protestaktionen. In der Anklageschrift wurde ausdrücklich die Anti-Springer-Veranstaltung vom 1. Februar 1968 und "der Film `Wie stellt man einen Molotow-Cocktail herï" als Beweise für Mahlers Verantwortung für die Krawalle erwähnt.

Der Film Herstellung eines Molotow-Cocktails, der eine Art Overture zu diesen Krawallen gewesen war, hat auch die Entwicklung vom gewaltlosen Protest zum militanten Widerstand vorweggenommen, die sich zu dieser Zeit in der Studentenbewegung andeutete und die sich zu Ostern 1968 entlud. Schon 1967, als in Brüssel ein Kaufhaus angezündet worden, veröffentlichte die Kommune I ein Flugblatt, in dem es hieß: "Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk zu vergießen. Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette an."

Wegen dieses Flugblatt wurden Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann und die übrigen Mitglieder der Kommune I wurden wegen "Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen" verklagt. Vor Gericht verteidigten sie sich mit dem Argument, daß Flugblatt sei satirisch gemeint gewesen, und bestellten Germanistikprofessoren als Gutachter, um diese Behauptung zu untermauern. (Im April 1968, einen Monat, bevor das Verfahren begann, bekamen sie "von einem süddeutschen Filmproduzenten" das Angebot, bei einem dreiteiligen Film mitzumachen - woraus freilich nie etwas geworden ist.)

Weil auch die Studenten der DFFB wegen des Molotow-Cocktail-Films einen Prozeß erwarteten, fuhr Holger Meins und sein Kommilitone Günther Peter Straschek Anfang 1968 nach München, wo ebenfalls gerade eine Filmschule eröffnet worden war. Doch keiner der dortigen Dozenten wollte ihnen helfen. Straschek schrieb später, Alexander Kluge habe sie wenigstens zum Essen eingeladen; er "besah sich den Kurzfilm, ging mit uns ums Karree spazieren; Ecke Leopold-Ainmillerstrasse verabschiedete er sich mit der Bemerkung, er könne uns leider kein Gutachten schreiben, denn der Molotow-Cocktail sei, im Gegensatz zu uns zweien, nicht dialektisch genug..."

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Die Auseinandersetzungen an der DFFB gingen auch nach dem Molotow-Cocktail-Film weiter: Im Mai 1968 besetzten die Berliner Filmstudenten ihre Filmhochschule und nannten sie in "Dziga-Vertow"-Akademie um. Doch nicht nur in Berlin, in ganz Europa hatten Cin‚asten an den Auseinandersetzungen des Revolutionssommers von 1968 teil. In Paris gründeten sich im Mai 1968 die "Generalstände des Films", eine revolutionäre Ad-hoc-Gewerkschaft französischer Filmschaffenden, der sogar Leute wie Roger Vadim und Claude Chabrol beitraten. Kurz danach beendeten Francois Truffaut und Jean-Luc Godard auf Anweisung der Pariser Kino-Revolutionäre mit Gewalt die Filmfestspiele in Cannes. Ein Sommer der gestörten Festivals brach an: In Venedig, wo Pasolini an der Stürmung des Festivalgebäudes teilnahm, wurde sogar die Armee eingesetzt, um dem Aufstand ein Ende zu bereiten.

An der DFFB hingen im Mai 1968 rote Fahnen aus den Fenstern der "Dziga-Wertow-Akademie". Der SFB, dem das Gebäude gehörte, hängte daraufhin bunte Fahnen aus den übrigen Fenstern, um die roten Fahnen zur Dekoration zu "neutralisieren". Die Filmstudenten versuchten unterdessen, die SFB-Angestellten an den Eingangstüren zu agitierten; schließlich räumte die Polizei das Gebäude. Bei der Berlinale im Juni bewarfen DFFB-Studenten ihren Dozenten Johannes Schaaf mit Eiern, als der für seinen Film Tätowierung den Bundesfilmpreis entgegennahm. Schaaf und einige andere Dozenten erklärten daraufhin ihren Rücktritt; die Studenten wollten mit den meisten übriggebliebenen Dozenten nichts zu tun haben. Die Situation an der DFFB hatte ihren Tiefpunkt erreicht.

In den Semesterferien wurden Rathsack und der Berliner Wissenschaftsenator Stein nach Bonn zu Bundesinnenminster Benda zitiert, der den beiden drohte, daß für die Filmakademie "das ganze Geld wohl umsonst ausgegeben worden" sei. Die DFFB stand zwei Jahre nach ihrer Eröffnung schon wieder kurz vor der Schließung. In dieser Krisensituation genügte eine Kleinigkeit, um das Faß zum šberlaufen zu bringen: Im November flogen die 18 renitentesten Studenten nach einem "Go-In" in das Büro des Akademiedirektors Rathsack aus der DFFB; auch Rektor Erwin Leiser mußte kurz danach seinen Posten räumen. Die relegierten Studenten wurden bei einer Veranstaltung an der FU als Märtyrer der "Bewegung" gefeiert. Sie kündigten die Produktion von weiteren Filmen für den politischen Kampf an, und dann wurde gleich noch die Kameras eines SFB-Teams, das die Veranstaltung filmte, "sozialisiert", das heißt: den Journalisten abgenommen.

Die DFFB-Studenten hatten große Pläne: Man wollte einen eigenen Verleih aufbauen, revolutionäre Filme drehen und von einem Piraten-Fernsehsender aus dem Niemandsland entlang der Berliner Mauer senden. Einige der DFFB-Studenten drehten "Zielgruppenfilme" mit Schüler, Kinderladenkinder und "Rockers". Andere gründeten das Rote Arbeiter- und Studentenkino (ROSTA), das linke Filme zeigte. Und auch bei der "Schlacht am Tegeler Weg", einer der brutalsten Straßenkämpfe der APO, waren noch einmal DFFB-Studenten als Filmagitatoren zur Stelle.

Bei dem Teach-In, das am Abend vor dem Ehrengerichtsverfahren gegen Horst Mahler in der TU stattfand, führten einige ehemalige DFFB-Studenten einen Film vor, der den genauen Lageplan des Gerichts zeigte, und die Herstellung von Farbeiern und das šberklettern von Polizeibarrikaden erläutert. Die Studenten wurden aufgefordert, Eier, Tomaten, Mehl, Gips und Farbe mitzubringen. "Machen wir den Tegeler Weg zur Kochstrasse", hieß es am Ende des Films als Anspielung auf die Straßenschlachten vor dem Springergebäude im Frühjahr 1968. Am folgenden Tag schlugen die Studenten zum ersten Mal zurück: Statt wie bisher einfach davon zu laufen, wenn die Polizei kam, begannen die Demonstranten mit Steinen zu werfen, und das Gefecht war ein "Erfolg" für die APO: 130 Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt.

Über die gnadenlosen Schlägereien zwischen Polizei und Demonstranten wurde ebenfalls ein Dokumentarfilm gedreht, der im ROSTA als Vorfilm eingesetzt wurde. Die "Schlacht am Tegeler Weg" war aber auch das Ende der antiautoritären Bewegung. Die APO zerfiel in kleine, sektierische Gruppen und Parteien; und einige der Wortführer der Studentenbewegung gingen in den illegalen Widerstand. Am 3. April 1968 taten Andreas Baader und Gudrun Ensslin, was das Flugblatt der Komune I und Herstellung eines Molotow-Cocktails nur angedeutet hatten: Sie legten Feuer in zwei Frankfurter Kaufhäusern, ein Schritt in die Illegalität, aus der es für sie keinen Weg zurück mehr geben sollten. Holger Meins folgte ihnen, als er sich der RAF anschloß. Auch sein DFFB-Kommilitone Philip Sauber wurde später Mitglied der "Bewegung 2. Juni", und 1975 in Köln bei einer Autorazzia von der Polizei erschossen.

Den Filmstudenten, die nach 1968 weiter Filme machten, fehlte plötzlich die "Bewegung" für ihre Agitationsfilme. Die Filmen, die Christian Ziewer, Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Helke Sander und die anderen ehemaligen DFFB-Studneten in den folgenden Jahren drehte, waren keine Revolutionsfilme mehr, sondern sozialkritische Spielfilme oder deutsche Autorenfilme mit Kunstanspruch.

Die Auseinandersetzungen um 1968 an der DFFB wurden in den folgenden Jahren zum Mythos aufgebauscht, dann gerieten sie in Vergessenheit - wohl, weil die Protagonisten nicht mehr an ihre "Jugendsünden" erinnert werden wollten. Oder weil es vielen aus dem ersten DFFB-Jahrgang während der "Bleiernen Zeit" Ende der Siebziger Jahre nicht mehr opportun erschien, daran zu erinnern, daß sie einst mit Holger Meins studiert hatten. Der DFFB-Student Günther Peter Straschek schrieb später: "Die Semester an der DFFB erinnern mich an Die Lümmel von der ersten Bank mit mir als Pepe der Paukerschreck. Jedenfalls war der ganze Zinnober weniger ïBewußtwerdungï denn später Höhepunkt einer zuendegehenden Jugendunbeschwertheit, letztes Sichaustobenkönnen. Ein Stück Kino, das mit Film nichts zu tun hatte."

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Bis heute hat die DFFB eine Ruf als "linke" Filmschule behalten - aber auch eine beispiellos liberale Studienordnung, die vor fast dreißig Jahren von den "68ern" erkämpft worden ist.

Einige der Wortführer von damals sind heute etablierte Autorenfilmer. Hartmut Bitomsky ist Dekan an der renommierten amerikanischen Universität Cal Arts. Helke Sander ist Professorin an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Harun Farocki ist ein international bekannter Regisseur von Essay- und Dokumentarfilmen. Auch Thomas Giefer, Rüdiger Minow und Gerd Conradt machen noch Filme für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Einer aus dem ersten Jahrgang ist sogar richtig bekannt geworden: Wolfgang Petersen, der Regisseur von Das Boot, der sich aus den 68er-Auseinandersetzungen damals herausgehalten hatte und der heute in Hollywood arbeitet.

Was für eine Rolle die DFFB-Studenten damals bei der Revolte von 1968 gespielt haben, ist ein weitgehend vergessenes Kapitel deutscher Filmgeschichte, vom dem auch an der DFFB nur noch die wenigsten Genaues wissen. So richtig erinnern will sich an die ganze Geschichte niemand mehr. Wenn heute abend 30. Jahre DFFB gefeiert werden, dann fällt aber vielleicht jemanden Rainer Werner Fassbinder ein. Denn auch der hatte sich 1966 als Student an der DFFB beworben - und fiel bei der schriftlichen Prüfung durch. Was hätte der wohl gemacht, wenn er 1968 in Berlin gewesen wäre?